17. Februar 2008

Lesespass VII

Es gibt Momente, wo sich alles Feste und Fixierte im Leben für einige Stunden oder Tage löst, in einem andern, durchdringenden Licht erscheint, das alles verändert, das die Farben und Werte, die ein Etwas für uns trägt, verwischt, mischt und schliesslich einander gleich und gleicher macht, bis kaum mehr ein Unterschied zu erkennen, bis jenes, was so deutlich verschieden plötzlich gleich und verwechselbar ist. Die Reise ins Herzen Afrikas hat mir neuerlich dies Tor geöffnet, diese Perspektive für einige Tage zumindest ermöglicht. Eine Perspektive, die einerseits lehrreich und wahrhaftig, andererseits erschütternd und zutiefst ergreifend, prägend ist. Mali war einmal mehr ein Verweilen in und ein Betrachten von einer fremden, teils unverständlichen, teils unzugänglichen Welt, die lehrt und spricht, die einem vereinnahmt, deren spezielle Farbe und Melodie in der Beobachtung und Teilnahme so intensiv und tief greifend auf Seele und Herz wirkt. Doch nicht die alltäglichen Finessen einer Kultur, die mir zwar in Erinnerung bleiben, die durchaus charakteristisch, interessant, auszeichnend für dieses Volk, dieses Land sein mögen, hinterlassen eine gewisse chaotische Unregelmässigkeit in meinem ansonsten gefestigten Weltbild. Vielmehr sind es die Grundzüge der afrikanischen Kultur und Mentalität an sich, die, je länger ich diesen anderen lebensphilosophischen Kosmos gedanklich durchwandere, meine inneren Fundamente und Strukturen verändern, einem Sturme gleich mein inneres Gerüst ins Wanken bringen, die Grundzüge meiner Weltsicht wenn auch nicht gänzlich umstürzen, so doch erweichen und erweitern.
Mein Geist also, der, geprägt durch die vergangenen Jahre meiner Erziehung, Schulbildung, Wissensaneignung mich trägt und leitet, mir weisende Instanz und schliesslich Baustein meiner Existenz und Teilnahme an einer westlichen Wertgemeinschaft, dessen Maximen sich bis tief in mein Bewusstsein ausgebreitet haben, ist, dieser Geist wird in dieser unmittelbaren Konfrontation mit dem anderen und gleichsam mit einer, zugegebenermassen anfangs nicht sonderlich reizvollen, Alternative nun hin und her geworfen, verirrt sich in seiner eigenen Mannigfaltigkeit und scheint sich manchmal gar kurz aufzulösen, zu entgleiten in einem grossen Universum der vereinbaren Gegensätze, der grossen Zusammenkunft von allem Guten und Schlechtem, Dunkeln und Hellem. Es ist sodann, als sei der Dirigent des stramm-folgsamen Orchesters aus dem Takt geraten, fummle wild in der Luft, verliere die Übersicht, die Kontrolle; das Orchester jedoch spielt weiter, verselbständigt sich, jeder spielt seine Melodie, gibt sein ganz eigener, persönlicher Klang wieder, einzigartig und im Einzelnen oft unverständlich. Die Summe ergibt sich nun in einer Disharmonie von groteskem Ausmass, das für den Hörer schlicht nicht erträglich, nicht auszuhalten ist. Die Gabe, dies grosse Ganze als Summe kleiner, schönster, weil so einzigartiger und authentischer Einzelmelodien zu lauschen, ist ihm nicht gegeben. Er flüchtet also ins Bekannte, ins Einfach-Gerade und ist zufrieden. Wer jedoch dies grosse Orchester der vielen Musikanten, die der Kontrolle des Dirigenten entwichen sind, gehört hat, sich einige Momente nur dem grossen Durcheinander hingibt und mal diesem, mal jenem Musiker mehr Beachtung schenkt, ihn in seiner eigenen Wahrnehmung hervortreten, ein Solospiel darbieten lässt, dieser Hörer wird zutiefst erschüttert. Die ganze Breite dieses Klangkosmos auch nur zu Erahnen ist allzu viel für eine einzelne Seele. Also muss ich zurücktreten, fliehen wohl, oder aber: Dirigent werden. Ich, als einzelner oder als Teil eines Kollektivs, leite sodann diese Gruppe der Gegensätzlichen (und doch: alles sind sie Musiker!) und vereinige dies Chaos zum einheitlichen Klang, gebe dem Ganzen eine Richtung, ein vages Ziel. Die entstehende Harmonie ist kräftig und laut, sie animiert zu Applaus, zu gutgelauntem Publikum. Auch die Musikanten werden, gekränkt anfangs durch die einschränkende Autorität, zufrieden, bescheiden geben sie sich der grossen Harmonie hin, freuen sich, Teil dieser kräftigen Bewegung, Teil eines Gemeinsam-Erschaffenen zu sein.
Lange jedoch lässt sich dies Spiel nicht ertragen, die Harmonie ist allzu einfach, allzu repetitiv. Es ist Musik aus der Retorte, einfachste Hedonistenklänge, die einem die Seele salben, ohne sie zu berühren. Der Aufstand jedoch bleibt aus, allzu bescheiden sind doch die Hörer im Saale, allzu selbstgefällig die müden Musiker, deren eigene Melodien sie irgendwann selbst vergessen werden.
Wo also führt er hin, dieser Weg der Harmonie, der Angleichung? Zum Menschen? Zum Glück? Oder ist es ein Sprung ins Dunkle, in eine Welt, die ohne Farben auskommen muss, um weiterexistieren zu können? Farben, sind Farben denn erträglich, sind sie nicht allzu schwere Last auf unsren zerbrechlichen Gemütern, sind sie nicht zu erdrückend, zu wahrhaftig, zu vieldimensional?
Wer wills also wissen, wer wills verstehen. Schon spielt der Schweizer Blues wieder in meinem Köpfchen, schon bin ich wieder hier, einfache Musik, bezirzende Klänge. Vergessen aber kann ich’s nicht mehr, dies Konzert der vielen Einzelnen - auch, wenn’s schier unerträglich ist.

1. Februar 2008

Einige Fotos der Mali-Reise sind ab sofort hier zu finden.

In der Sahara mit Blick auf Timbuktu. Schifffahrt auf dem Niger.

14. Januar 2008

Bamako, Niger, Timbuktu

Warum Mali? Nun, des Nigers, Bamakos, Timbuktus wegen. Afrikas, des Afrikaners wegen, unserem nah-entfernten Bruder, der uns spiegelsgleich Vergangenes wie Künftiges aufzeigt, uns lehrt, was Welt ist und sein kann, was ausserhalb unseres dogmatischen Systems, das bis tief in unsere Seelen prägt und weist, real, schön, erschreckend sich zeigt. Eine Reise ins Innerste und zugleich ans Ende der Welt, schliesslich auch, um den Ort, wohin wir zurückkehren, für Stunden oder Tage mit den Augen eines Weltenbürgers betrachten zu dürfen, bevors - ach, es ist notwendig - zurückkehrt, dies gewohnte Mass des Alltags. Was bleibt jedoch ist das Wissen um ein Mehr, ein neues Kapitel im eigenen Buch. Es kann fortan immer wieder gelesen, gefühlt, gelitten und gefreut werden, lehrt weit über den eigentlichen Horizont hinaus und führt - dies das Schönste am Reisen - ins farbigste, aufregendste, mannigfaltigste Nichts , immer und immer wieder.

Bild: Luftaufnahme Timbuktus

9. Januar 2008

Ahorn-Silvester

Am Ahorn, oh, lag Schnee, ein wenig
Ein Hüttlein stand darin, ganz seelig.
Wir wohnten drin, sehr wohlig-erfreut,
Dies fröhliche Treffen hat niemand bereut.

Einige Fotos hier.
Lang ists her, als ich da stand, und an den Mann bracht Frücht, Gemüse.
Der Chlaus, mein Chef, stand ebenfalls, auf kalter, windger Gasse.
Frau Zäch kam bald, dahergefahrn, das Betly grüsste gnädigst.
Ich, kalt Finger - oh Winterschmerz - sprach aus mein 'Guten Morgen'.
Sobald der Äpfel wurden wen'ger, ich sprang mit grünem Harras.
Denn voll muss's sein, so Chlaus es wusst, denn sollts ja z'Aug verführen.

Ach ja, also, ich füllt alsbald, die blauen Säck mit War.
Sagt hier hallo, dort dankeschön, kein Zeit für Pausen allemahl.
Und vis-à-vis, der Röbu stand, hat - ach - viel mehr der Gäste.
Betly jedoch, sehr gutgelaunt, sprach bald schon vom Schlosstore.
Sodann der Chlaus, legt schleunigst nach, lacht laut von Schafes Futter.
Langweil, oh nein, das gabs hier kaum, ein vergnüglich-gross Theater.

Bald kam der Nils, begabt sehr wohl, ein schlaues Team, wir beiden.
Die beste Zeit, welch Freud hurra, jed Mittag auf uns wartet.
Wenn Chlaus doch ging, zu Schnäpschensturz, da lacht uns bald der Magen.
Wir schlugen zu, mal hier, mal da, ein Feigchen bald schloss s'Munde ein.
Es war doch nun, dies ganze Spiel, beileibe eine Freude.
Die kleine Welt, der Schmiedengass, war allemahl gut Zeit und Rat.

8. Januar 2008

Soweit ich sehe, hier aus der Ferne, grosse Worte überall. Eloquent die Auftritte, geschickt-gewählte Worte und die teils mitreissend-brillianten Reden verführen, besingen und werben, ein grosses Taramtaram. Die Schwäche der Demokratie liegt wohl letztlich im Umstand, dass die Macht nur durch durchdringenden Populismus, durch die Kenntnis der Masse und der psychologischen Volksspiele zu erlangen ist.
Das Abbild des Volkes, oder einer Mehrheit desselben, regiert sodann. Doch ist dies Abbild allzu oft - und das ist das unausweichliche Dilemma dieses Volkswillens - ein Produkt nicht dessen Inhaber, sondern vielmehr ein Resultat der psychlogisch-populistischen Rafinesse einiger weniger, die sich der teilweisen Unmündigkeit des Volkes zu bedienen vermögen. Und nicht nur funktioniert diese Kausalität in lediglich eine Richtung, sie ist geradezu das grundlegende Gesetz des politischen Prozesses auch in die andere, vom Volk ausgehende Richtung. Die Projektion des Gesamtwillens ist Fundament der Machterhaltung und insofern immer richtungsweisend - teilweise oder gänzlich, je nach verkaufspsychologischer Fähigkeit des Machthabers gegenüber seiner Quelle der Macht und Legitimation.
Politik und Demokratie ist daher zwingend nur nach innen gerichtet, ist doch ihr Uhrheber, das Volk, ein beschränkter Teil des Ganzen, der sich - wer wills verübeln - vorzugsweise um sich sorgt. Entfernt vom theoretischen Konstrukt der unsichtbaren Hand und dem damit einhergehenden Wohlstandsegozentrismus ist der Ort, der uns Lebensgrundlage und Heimat ist, lange schon über die Einfachheit eines kausalen Modells hinausgewachsen.
Demokratie funktioniert zwar und ist - der menschlichen Tragik herleitend - der beste Weg. Der wahre Funktionswert im Sinne einer globalen politischen Kongruenz der Humanität und naturweltlichen Verantwortung ist solange jedoch zum Scheitern verurteilt, als dass der Mensch an sich sein Antlitz lichtet. Düstere Aussichten.

25. Dezember 2007

Mein 2007

Es ist nicht recht, nur eine Sache zu kennen - man wird dumm davon; man sollte nicht ruhen, bis man auch das Gegenteil kennt. Vincent van Gogh

Konfusionen und Frustrationen um erste Uni-Prüfungen / Burgundergrund und eine lebendige Kleinstadt / Lights – wiederum und nun folgenreicher / Ethnologie als Katalysator des Selbstvertrauens / Laufen und Leiden in den Zürcher Wäldern / Das Knie, das zur bitteren Aufgabe zwingt und Träume begräbt / Ein Meeresbad an Ostern / Opfikon, ein blaues Auge und der Schrecken über die Auswüchse des „integrativen“ Fussballsports / Trotzdem: erstmaliger Aktiv-Aufstieg / Bonds, Fonds, Equities: das Lehrreiche im absolut Fremden erkennen / Und: Die Müssigkeit des Arbeitens / Eine Velofahrt Zürich-Burgdorf / Diekmann und andere Quälereien / Falsche Gänge und eine Spur kindlicher Freude beim Autofahren / YB-FCZ / Gelebte jugendliche Freiheit auf dem Weg nach Stuttgart zu ganz grosser Musik / Tischtennis-Duelle / Erwachende Freude an Wein / Umjubelte Prüfungsresultate / Berg- und Talwanderungen in Santa Maria / Lai da Rims, Piz Umbrail und Endkopf / Die Dankbarkeit, studieren zu dürfen / Ein vergebliches Warten / Lilly und die Rückkehr nach Belgrad / Osteuropa: die Ferne ist nah, wertvoll und immer wieder eine Reise wert / Moni / Zürich: eine fruchtbare Beziehung zwei Andersartiger / Burgdorf: Heimat, die näher rückt und zugleich fremder wird / Chamonna Cluozza / Erster Schlittelplausch auf dem Kaltacker / Wachsende Freude an der Politologie / Mühen und Freuden am Rebhüsliweg / Ewigliche Zukunftsplanung / Bordeaux im Kopf mit Bordeaux im Kopf / Die Mühen mit der Müssigkeit / Die langen Stunden des Lernens in den Bibliotheken Zürichs / Vorfreude auf Mali…

29. November 2007

Hin zum Gipfel

Undurchdringlich, grau breitet sich Nebel über dem Tal aus. Die Leute im Dorf sind Zuhaus, meiden Wetter und die damit verbundenen Unerfreulichkeiten. Ich jedoch, ich wandre, hinauf zur nächsten Weid, zur Alp sodann, den Gipfel vor Augen. Mit jedem Schritt entferne ich mich also mehr von dieser kleinen vertrauten Heimat, begebe mich Meter um Meter der Fremde hin, die heute, dunkel, traurig und nass, noch etwas unbekannter scheint als an sonnigen Tagen. Ich raste, gehe aber bald weiter, werde später vom Regen unter eine dichte Fichte getrieben.
Das Dorf ist nicht mehr in Sichtweite, der Nebel hat sich des Tals endgültig bemächtigt, lässt mich einsamer werden, als ich es bin. Nach einer Stunde verlasse ich meinen Unterstand, es hat nicht aufgehört zu regnen, ich jedoch will weiter, werde nass und hoffe, dass der Wind, der allmählich stärker zu werden scheint, die Wolken alsbald vertreiben mag. Bald schon ist die Waldgrenze erreicht, der kleine Weg führt weiter durch endlose Wiesen, die, gezeichnet vom langen Winter, trüb und kraftlos wirken. Auch ich werde allmählich müde, muss mir eingestehen, meine Kräfte überschätzt, ja, falsch kalkuliert zu haben. Der Gipfel jedoch, er scheint nah, in Griffnähe, versteckt irgendwo unmittelbar hinter der nächsten Nebelwand, hinter dem nächsten Baum. Baum? Nun, wieder sehe ich Bäume, mehr und mehr werdens, die Baumgrenze ist noch nicht erreicht. Wald wird’s sodann, mein Weg entschwindet irgendwo im hingabevollen Gedränge der Bäume, Äste, Blätter. Dem eigenen Weg folgend steige ich weiter hinan zur nächsten Ungewissheit, zum nächsten, übernächsten, vor- und vorvorletzten Baum. Zwar ists trockener, windiger, der Nebel jedoch hält sich hartnäckig, will nicht weichen und mir verraten, wo ich bin, wo ich hin muss, hin will. Weiter, höher. Wieder lichtet sich der Baumgarten, ich lasse ein letztes Stück Wald hinter mir, erreiche bald einen kleinen Weg, der mich durch eine steinige, abweisende Landschaft führt. Ich glaube mich bald schon am Ziel. Meine Kräfte schwinden. Es wird allmählich dunkel, die Sonne, die ich heute nur erahnen, nur ersinnen konnte, verschwindet, lässt die grauen Wolkenfetzen um mich grauer, schliesslich schwarz werden. Ich muss den Gipfel sehr bald schon erreichen. Auch wird es kälter, ich trage nasse Kleider, friere, gehe weiter, schneller, um schneller am Ziel zu sein. Endlos umgibt mich Gestein und Geröll, leblose, apathische Körper. Ich schreie. Irgendwo weit unten vermag ich nun einige Lichter zu entdecken – mein Dorf. Wie nah es scheint, wie farbig diese Lichter tanzen, wie schön, gütig und verlockend sie zu mir sprechen. Ich lege mich hin, schlafe, erfriere immer und immer wieder, am Leben erhält mich einzig der Gipfel, den ich näher als zuvor nun fühle, stärker zieht er mich hin zu ihm, hinauf, hinauf! Ich irre, wandre, spreche meinen Beinen den Mut zu, der mich längst verlassen hat. Bin sodann im nächsten Wald, eine nächste Wiese, danach Geröll, Nacht, Kälte, die kleinen Lichter unten im Tal, die mit jeder Nacht undeutlicher werden.
Irgendwann kommt die Sonne, der Gipfel, mein Wandern wird ein Ende nehmen. Irgendwann.

21. August 2007

Lesespass V

Welch schwierig Ding, diese Welt zu verstehen! Mit wachen Ohren setz ich mich hin, lausche hin zu den Gipfeln und weiter in die Täler, versuche, alles zu sammeln, Töne, Melodien und Klänge, versuche, eine Symphonie, ein Ganzes zu erspähen, unserer Zeit ein, zwei Schritte näher zu kommen. Es fällt schwer.
Ab und an blüht da eine Ahnung auf, breitet sich in Seele und Herzen aus, entwickelt sich fort zu realen Konstruktionen, zu einer Hoffnung, einer Aufforderung vielleicht. Einige Takte später jedoch folgt dies Unbehagen, neuerliche Verunsicherung und eine zweifelnde und allmählich verzweifelnde Einsichtslosigkeit des Unwissens, der ewiglichen Unverständlichkeit. So wandre ich weiter, begehe tagtäglich neue Sünden, die Tage später zu Glück und Religion werden, nach Wochen wieder zu Paradigmen der menschlichen Abgründigkeit verkommen. Es ist schwer, so zu leben, gefangen in der eigenen Horizontlosigkeit, einer befreiten Welt ohne Zäune, ohne Kompass auf Reise im immerwährend Ozean.
Zu mancher Stunde blick ich sodann zum Himmel und glaube, mich zu verlieren. Eine schmerzliche Vision des unsäglichen Sterbens an der Nichtigkeit des Menschseins.