29. November 2007

Hin zum Gipfel

Undurchdringlich, grau breitet sich Nebel über dem Tal aus. Die Leute im Dorf sind Zuhaus, meiden Wetter und die damit verbundenen Unerfreulichkeiten. Ich jedoch, ich wandre, hinauf zur nächsten Weid, zur Alp sodann, den Gipfel vor Augen. Mit jedem Schritt entferne ich mich also mehr von dieser kleinen vertrauten Heimat, begebe mich Meter um Meter der Fremde hin, die heute, dunkel, traurig und nass, noch etwas unbekannter scheint als an sonnigen Tagen. Ich raste, gehe aber bald weiter, werde später vom Regen unter eine dichte Fichte getrieben.
Das Dorf ist nicht mehr in Sichtweite, der Nebel hat sich des Tals endgültig bemächtigt, lässt mich einsamer werden, als ich es bin. Nach einer Stunde verlasse ich meinen Unterstand, es hat nicht aufgehört zu regnen, ich jedoch will weiter, werde nass und hoffe, dass der Wind, der allmählich stärker zu werden scheint, die Wolken alsbald vertreiben mag. Bald schon ist die Waldgrenze erreicht, der kleine Weg führt weiter durch endlose Wiesen, die, gezeichnet vom langen Winter, trüb und kraftlos wirken. Auch ich werde allmählich müde, muss mir eingestehen, meine Kräfte überschätzt, ja, falsch kalkuliert zu haben. Der Gipfel jedoch, er scheint nah, in Griffnähe, versteckt irgendwo unmittelbar hinter der nächsten Nebelwand, hinter dem nächsten Baum. Baum? Nun, wieder sehe ich Bäume, mehr und mehr werdens, die Baumgrenze ist noch nicht erreicht. Wald wird’s sodann, mein Weg entschwindet irgendwo im hingabevollen Gedränge der Bäume, Äste, Blätter. Dem eigenen Weg folgend steige ich weiter hinan zur nächsten Ungewissheit, zum nächsten, übernächsten, vor- und vorvorletzten Baum. Zwar ists trockener, windiger, der Nebel jedoch hält sich hartnäckig, will nicht weichen und mir verraten, wo ich bin, wo ich hin muss, hin will. Weiter, höher. Wieder lichtet sich der Baumgarten, ich lasse ein letztes Stück Wald hinter mir, erreiche bald einen kleinen Weg, der mich durch eine steinige, abweisende Landschaft führt. Ich glaube mich bald schon am Ziel. Meine Kräfte schwinden. Es wird allmählich dunkel, die Sonne, die ich heute nur erahnen, nur ersinnen konnte, verschwindet, lässt die grauen Wolkenfetzen um mich grauer, schliesslich schwarz werden. Ich muss den Gipfel sehr bald schon erreichen. Auch wird es kälter, ich trage nasse Kleider, friere, gehe weiter, schneller, um schneller am Ziel zu sein. Endlos umgibt mich Gestein und Geröll, leblose, apathische Körper. Ich schreie. Irgendwo weit unten vermag ich nun einige Lichter zu entdecken – mein Dorf. Wie nah es scheint, wie farbig diese Lichter tanzen, wie schön, gütig und verlockend sie zu mir sprechen. Ich lege mich hin, schlafe, erfriere immer und immer wieder, am Leben erhält mich einzig der Gipfel, den ich näher als zuvor nun fühle, stärker zieht er mich hin zu ihm, hinauf, hinauf! Ich irre, wandre, spreche meinen Beinen den Mut zu, der mich längst verlassen hat. Bin sodann im nächsten Wald, eine nächste Wiese, danach Geröll, Nacht, Kälte, die kleinen Lichter unten im Tal, die mit jeder Nacht undeutlicher werden.
Irgendwann kommt die Sonne, der Gipfel, mein Wandern wird ein Ende nehmen. Irgendwann.

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