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19. März 2008

VII. Die unmittelbarste Konfrontation mit der realen Welt findet oft da statt, wo man vergesse hat, hinzusehen. Immer wieder werde ich mir dessen bewusst und erfahre, welch Unterschied und Andersartigkeit da, direkt neben mir hergeht, manchmal andres, sehr oft aber auch gleiches tut, mir im Äussern so ähnlich ist, im Innern jedoch fern und sonderbar fremd, ja unverständlich bleibt. Der kleine Kosmos, den ich mir bilde und ausgestalte, dessen Pfaden und Windungen ich folge, wird allzu oft und versehentlich zum Abbild des Ganzen, zu einer verfärbten Eigenwelt, die es so ja nirgends gibt und geben wird. So bin ich, sind wir alle wohl, immer auch Flüchtlinge und Phantasten, kleine Erfinder, um unseren Seelenfrieden zu finden, um Herr der Lage zu werden - die es nicht gibt.

14. März 2008

V. Donnerstags von 16 - 18 Uhr besuch ich meine Lieblingsvorlesung: "Ein soziologischer Blick auf Fussball in Afrika". Dr. Daniel Künzler, ein junger Assistent am soziologischen Institut, mag Fussball, Afrika und ist FCZ-Fan. Das kann ich gut verstehen. Während den Vorlesungen trägt er immer ein Fussballshirt, gestern jenes des nigerianischen FCZ-Goalies Ike Shorunmu, die Woche zuvor das entsprechende Nationalmannschaftstrikot Nigerias. Während der Pause hat er uns ein Lied abgespielt, dass eine südafrikanische Band anlässlich des CAN 1996 (Coupe d'Afrique des Nations) in Südafrika produziert hat (im Übrigen ein ganz übler Final-Countdown-Verschnitt, doch höre selbst...). Der Vorlesung wohnen durchschnittlich 10 Personen bei, gestern warens 8 - und nur die Hälfte waren Männer.
Wir haben gelernt, dass die Chinesen den Fussball erfunden haben, dass Fussball in Afrika eine wichtige Rolle im Unabhängigkeitskampf spielte und er noch heute oft instrumentalisiert wird, um Länder zu einen oder aber die politischen Fehlleistungen einer nationalen Elite durch sportlichen Erfolg zu beschönigen. Interessant auch der "Röstigraben" zwischen Maghreb- und Subsahara-Afrika, der sich im Fussball besonders anschaulich manifestiert.
Als Leistungsnachweis ist die medialen Berichterstattung während des CAN 2008 eines Teilnehmerlandes zu untersuchen. Ich hab mich für Kamerun entschieden. Herr Künzler hat gemeint, Kamerun sei eine der meistunterschätzten Autokratien der Welt. Während eines Spiels Kameruns wurde in Douala eine ganze Siedlung plattgemacht - strategisch geschickt, der Widerstand der Bevölkerung war gering, weil schlicht alle in der Stadt vor einem Fernseher sassen.
"Fussballspiele können aus der alltäglichen Routine herausreisen und eine Wirkung entfalten, die über die dem Spiel innewohnende Bedeutung geht", meint Herr Künzler. Er relativiert aber die gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports, indem er bemerkt: "Sport kann keine grossen gesellschaftlichen Probleme lösen", und "Sport ist nicht unbedingt ein Vorbild für eine gerechtere Gesellschaft".

Bild: Abendliches Fussballspiel in Burkina Faso.

3. März 2008

II. Als ich vor zweieinhalb Jahren einen Monat in Russland war, galt meine Aufmerksamkeit nicht primär der Politik. Nicht nur, weil ich noch gar nicht ahnte, jemals Politik zu studieren - dieser Gedanke kam erst in China auf -, vielmehr war ich mit allzu viel Übrigem und vorwiegend mit mir selbst beschäftigt. Zwar habe ich in Ulan Ude immerhin die grösste Lenin-Büste der Welt besucht (Bild), ansonsten bin ich an den vielen Gedenktafeln, Statuen und Abbildungen von Stalin, Lenin und schliesslich Putin eher gedankenverloren vorbeispaziert. Russland ist ein Land - ein Kontinent - den ich wiederbesuchen möchte. Nicht, dass mir dieser eine, ziemlich einsame Monat, in dem ich etwas ängstlich noch und ohne jegliche Russischkenntnisse alleine durch Taiga und Tundra gereist bin, als besonders ermunternde Zeit in Erinnerung geblieben wäre; allerdings, und das kann ich erst heute und gerade im Vergleich mit anderen Ländern und Gebieten, die ich erleben und erreisen durfte, feststellen, hat Russland eine mir gutbekannte Seele, ein poetischer Geist, den mich fasziniert und einnimmt. Tolstoi und Dostojewskij stehen so denn nur an der Spitze eines seltsamen Volkes, das, geprägt durch kalte Winter, die Abgeschiedenheit, eine kontroverse und machtvolle Geschichte und die unendliche Grösse ihres Landes, eine eigene, immer etwas wehmütig anmutende und doch sehr erhabene Kultur und Gesellschaft hervorbringt. Der Russe ist mir ein Verwandter, einer, den ich zu verstehen glaube, einer, der in seinem eigenwilligen Blick die Melancholie der Welt mit sich trägt, nicht jedoch an ihr zerbricht, sondern formen, verarbeiten kann, in lebendige, wenn auch etwas schwere Poesie umzuwandeln weiss. Ich erinnere mich an Petersburg und Moskau, die der Grösse und Weite des Landes Kontrast und Gegenstück sind und doch dies kleine russische Universum auf wenigen Quadratkilometern zu konzentrieren versuchen. Es sind lebendige und doch recht schwermütige Orte, Städte, in denen sich jeder ein wenig als Poet und Dichter fühlt, Städte, in denen Geschichte überall, in jeder Seitengasse, irgendwie spür- und fühlbar ist.
Doch zurück zur Politik. Politik scheint in diesem Land mehr als irgendwo sonst ein Schauspiel der Macht zu sein, ein Wettkampf mit einer historischen Konkurrentin, der Sowjetunion, an deren Stärke, Macht und Einfluss letztlich Mass genommen wird. Die UdSSR ist, so schien es mir, kein historisches Relikt, sondern vielmehr noch immer eine reale politische Maxime, ein machtvolles Ideal, das es anzustreben gilt, dessen kräftige, globale Ausstrahlung wiedererlangt werden soll. Der Weg ist Mittel zum Zweck. Medwedew, Putin, Jelzin - einerlei. Es scheint fast, als würde Politik in Russland viel weiter vom Realen entfernt sein, als dies sonstwo der Fall ist, als wäre Politik ein nächtlicher Mond, der weit weg vom Geschehen der russischen Seele Weg und Gefahr leuchten soll, ohne sie jedoch zu berühren, ohne sie zu stören. Ja, und so bleiben Kultur, Gesellschaft und Politik einander getrennt und fremd, bilden ab und an ein ungleiches Paar zwar, verstehen sich schlecht und ziehen es schliesslich vor, alleine weiterzuziehen.
Ob ich das gutfinde? Nein. Ob ich es verstehe - die Ewigkeiten der Tundra vor Augen? Ja.

Die russische Wirklichkeit ist ein erhabenes, universelles, geordnetes Chaos. Fjodor Michailowitsch Dostojewskij

2. März 2008

Gedanken im März I. Feste sind, so glaube ich, einer der wenigen Schlupfwinkel der gesellschaftlichen Authentizität. Hier ist der Mensch, was er sein will, zu sein hat, unverfälscht vom intelektuell konstruierten Idealtypus, vom gesitteten Mitträger einer Normen- und Sittenlandschaft, die uns auszeichnet und zugleich beraubt.
Berauscht haben diese Maurer, Banker, Lehrlinge und Studenten getanzt gestern, bis spät in die Nacht, als ob sie nicht an den Morgen glauben würden, als wärs ihr letztes Narrenstück vor dem Untergang. Ich bewundere sie. Ich stand an, nein, hinter der Bar, verkaufte, verschenkte und trank Bier, ass Erdnüsse und war ganz berauscht ab der ganzen Szenerie dieses grossen Fasnacht-Traritraras.
Und, besser als jedwelches Unterhaltungsstück, nimmt das ewigliche Werben um Herz und Körper, das subtil an allen Enden und Ecken des Alltags auszumachen ist, hier eine offensive, gradlinige, fast hemmungslose Form an. Die ganze Komplexität der menschlichen Psyche scheint sich sodann in diesem einen grossen Schauspiel von Sein oder Nichtsein zu manifestieren, versetzt den Raum in ein atmosphärisches Knistern und macht dies Feiern und Berauschtsein zur ursprünglichsten Form des weltlichen Jetzt. Ist dies also der Mensch, der Schweizer, Zürcher, der von alltäglicher Verpflichtung kurzeste Zeit befreite Urgeist? Ist der Rausch und diese breite Enthemmung nur die Katharsis, der Freiflug eines in gesellschaftlichen Ketten liegenden Vogels, eine Karrikatur unserer dekadenten Zeit? Hm, wer weiss es schon, wer soll es wissen... Dazu abschliessend ein gescheites Wort vom Herrn Darwin: Wir sind wie Tiere, die im Zoo gross geworden sind und die Beklemmung unserer Gefangenschaft spüren, aber über dieses schlummernde Gefühl nicht hinaus kommen, weil wir wirkliche Freiheit nie erlebt haben.

25. Dezember 2007

Mein 2007

Es ist nicht recht, nur eine Sache zu kennen - man wird dumm davon; man sollte nicht ruhen, bis man auch das Gegenteil kennt. Vincent van Gogh

Konfusionen und Frustrationen um erste Uni-Prüfungen / Burgundergrund und eine lebendige Kleinstadt / Lights – wiederum und nun folgenreicher / Ethnologie als Katalysator des Selbstvertrauens / Laufen und Leiden in den Zürcher Wäldern / Das Knie, das zur bitteren Aufgabe zwingt und Träume begräbt / Ein Meeresbad an Ostern / Opfikon, ein blaues Auge und der Schrecken über die Auswüchse des „integrativen“ Fussballsports / Trotzdem: erstmaliger Aktiv-Aufstieg / Bonds, Fonds, Equities: das Lehrreiche im absolut Fremden erkennen / Und: Die Müssigkeit des Arbeitens / Eine Velofahrt Zürich-Burgdorf / Diekmann und andere Quälereien / Falsche Gänge und eine Spur kindlicher Freude beim Autofahren / YB-FCZ / Gelebte jugendliche Freiheit auf dem Weg nach Stuttgart zu ganz grosser Musik / Tischtennis-Duelle / Erwachende Freude an Wein / Umjubelte Prüfungsresultate / Berg- und Talwanderungen in Santa Maria / Lai da Rims, Piz Umbrail und Endkopf / Die Dankbarkeit, studieren zu dürfen / Ein vergebliches Warten / Lilly und die Rückkehr nach Belgrad / Osteuropa: die Ferne ist nah, wertvoll und immer wieder eine Reise wert / Moni / Zürich: eine fruchtbare Beziehung zwei Andersartiger / Burgdorf: Heimat, die näher rückt und zugleich fremder wird / Chamonna Cluozza / Erster Schlittelplausch auf dem Kaltacker / Wachsende Freude an der Politologie / Mühen und Freuden am Rebhüsliweg / Ewigliche Zukunftsplanung / Bordeaux im Kopf mit Bordeaux im Kopf / Die Mühen mit der Müssigkeit / Die langen Stunden des Lernens in den Bibliotheken Zürichs / Vorfreude auf Mali…

13. März 2006

Spiegelbild


Fabian, Fabrikarbeiter

Was ich mag:
Schafe und Geissli, die Steppe, alleinstehende alte Eichen, (Tag-)träume, klare Sternenhimmel im Frühling, private Bibliotheken, Menschen mit verwirklichtem Talent, die Unbeschwertheit der Kinder, der erste Schnee, hinter einem Menschen mehr zu entdecken, als man vermutet hatte, das Blau des Himmels, Sonnenaufgänge, Tore schiessen, die Vorfreude, Visionen, Ideen und Ideale, die Fantasie, Bier nach gewonnenem Spiel, mittelalterliche Gebäude, Wiedersehen mit dem Meer, Ruderboot fahren, Zeitung lesen, die Sprache der Musik, Vorbilder, Gespräche, die mir Spiegel vorhalten, Farbe, Mut, Unabhängigkeit, Toleranz, Vielfalt, die Vorstellung, zu fliegen, stille Selbstgespräche, Freundschaften, Verliebt sein, am Ziel ankommen, kleine soziologische Studien im Vorbeigehen, Überraschungen, die immer wiederkehrende Hoffnung, der Sonntagmorgen, Margriten, Abend- und Nachtspaziergänge, Erkenntnisse, Familie und Freunde, Heimatgefühle, Fernweh, meine kleinen und grossen inneren Kämpfe des Alltags, Konzerte, den FCZ, Oganga, das Knurren alter Holzböden, Unerklärliches, Bescheidenheit, den Mekong, Reisepläne, Gespräche mit alten Menschen über deren Leben, Bärndütsch, gemütliches Teetrinken, Didaktik, Melancholie, Kerzenlicht, Baumhäuser.

Was ich nicht mag:
Hilflosigkeit, Egozentriker, Menschen, die die Augen schliessen, Tage des Nichtstuns, Ohnmacht, Geld und dessen Notwendigkeit, Kriege (und deren Notwendigkeit?), unruhiger Schlaf, Menschen ohne Umweltbewusstsein, Intoleranz, Verbildung, Wein, Kaffee, Liebe, die in Hass umschlägt, Schoggicrème, Fasnacht, Narzissten, Populisten, Verantwortungslosigkeit, Schneeregen, Wecker, Geschlechterkampf, Palavern, das Erwachen und Zurückkehren ins Leben nach einem schönen Film, Ausreden, Doppelleben, Fleisch-essen, die Beziehung Mensch-Geld, verpasste Chancen, Zäune, die Dekadenz der Normalität.