Es gibt Momente, wo sich alles Feste und Fixierte im Leben für einige Stunden oder Tage löst, in einem andern, durchdringenden Licht erscheint, das alles verändert, das die Farben und Werte, die ein Etwas für uns trägt, verwischt, mischt und schliesslich einander gleich und gleicher macht, bis kaum mehr ein Unterschied zu erkennen, bis jenes, was so deutlich verschieden plötzlich gleich und verwechselbar ist. Die Reise ins Herzen Afrikas hat mir neuerlich dies Tor geöffnet, diese Perspektive für einige Tage zumindest ermöglicht. Eine Perspektive, die einerseits lehrreich und wahrhaftig, andererseits erschütternd und zutiefst ergreifend, prägend ist. Mali war einmal mehr ein Verweilen in und ein Betrachten von einer fremden, teils unverständlichen, teils unzugänglichen Welt, die lehrt und spricht, die einem vereinnahmt, deren spezielle Farbe und Melodie in der Beobachtung und Teilnahme so intensiv und tief greifend auf Seele und Herz wirkt. Doch nicht die alltäglichen Finessen einer Kultur, die mir zwar in Erinnerung bleiben, die durchaus charakteristisch, interessant, auszeichnend für dieses Volk, dieses Land sein mögen, hinterlassen eine gewisse chaotische Unregelmässigkeit in meinem ansonsten gefestigten Weltbild. Vielmehr sind es die Grundzüge der afrikanischen Kultur und Mentalität an sich, die, je länger ich diesen anderen lebensphilosophischen Kosmos gedanklich durchwandere, meine inneren Fundamente und Strukturen verändern, einem Sturme gleich mein inneres Gerüst ins Wanken bringen, die Grundzüge meiner Weltsicht wenn auch nicht gänzlich umstürzen, so doch erweichen und erweitern.
Mein Geist also, der, geprägt durch die vergangenen Jahre meiner Erziehung, Schulbildung, Wissensaneignung mich trägt und leitet, mir weisende Instanz und schliesslich Baustein meiner Existenz und Teilnahme an einer westlichen Wertgemeinschaft, dessen Maximen sich bis tief in mein Bewusstsein ausgebreitet haben, ist, dieser Geist wird in dieser unmittelbaren Konfrontation mit dem anderen und gleichsam mit einer, zugegebenermassen anfangs nicht sonderlich reizvollen, Alternative nun hin und her geworfen, verirrt sich in seiner eigenen Mannigfaltigkeit und scheint sich manchmal gar kurz aufzulösen, zu entgleiten in einem grossen Universum der vereinbaren Gegensätze, der grossen Zusammenkunft von allem Guten und Schlechtem, Dunkeln und Hellem. Es ist sodann, als sei der Dirigent des stramm-folgsamen Orchesters aus dem Takt geraten, fummle wild in der Luft, verliere die Übersicht, die Kontrolle; das Orchester jedoch spielt weiter, verselbständigt sich, jeder spielt seine Melodie, gibt sein ganz eigener, persönlicher Klang wieder, einzigartig und im Einzelnen oft unverständlich. Die Summe ergibt sich nun in einer Disharmonie von groteskem Ausmass, das für den Hörer schlicht nicht erträglich, nicht auszuhalten ist. Die Gabe, dies grosse Ganze als Summe kleiner, schönster, weil so einzigartiger und authentischer Einzelmelodien zu lauschen, ist ihm nicht gegeben. Er flüchtet also ins Bekannte, ins Einfach-Gerade und ist zufrieden. Wer jedoch dies grosse Orchester der vielen Musikanten, die der Kontrolle des Dirigenten entwichen sind, gehört hat, sich einige Momente nur dem grossen Durcheinander hingibt und mal diesem, mal jenem Musiker mehr Beachtung schenkt, ihn in seiner eigenen Wahrnehmung hervortreten, ein Solospiel darbieten lässt, dieser Hörer wird zutiefst erschüttert. Die ganze Breite dieses Klangkosmos auch nur zu Erahnen ist allzu viel für eine einzelne Seele. Also muss ich zurücktreten, fliehen wohl, oder aber: Dirigent werden. Ich, als einzelner oder als Teil eines Kollektivs, leite sodann diese Gruppe der Gegensätzlichen (und doch: alles sind sie Musiker!) und vereinige dies Chaos zum einheitlichen Klang, gebe dem Ganzen eine Richtung, ein vages Ziel. Die entstehende Harmonie ist kräftig und laut, sie animiert zu Applaus, zu gutgelauntem Publikum. Auch die Musikanten werden, gekränkt anfangs durch die einschränkende Autorität, zufrieden, bescheiden geben sie sich der grossen Harmonie hin, freuen sich, Teil dieser kräftigen Bewegung, Teil eines Gemeinsam-Erschaffenen zu sein.
Lange jedoch lässt sich dies Spiel nicht ertragen, die Harmonie ist allzu einfach, allzu repetitiv. Es ist Musik aus der Retorte, einfachste Hedonistenklänge, die einem die Seele salben, ohne sie zu berühren. Der Aufstand jedoch bleibt aus, allzu bescheiden sind doch die Hörer im Saale, allzu selbstgefällig die müden Musiker, deren eigene Melodien sie irgendwann selbst vergessen werden.
Wo also führt er hin, dieser Weg der Harmonie, der Angleichung? Zum Menschen? Zum Glück? Oder ist es ein Sprung ins Dunkle, in eine Welt, die ohne Farben auskommen muss, um weiterexistieren zu können? Farben, sind Farben denn erträglich, sind sie nicht allzu schwere Last auf unsren zerbrechlichen Gemütern, sind sie nicht zu erdrückend, zu wahrhaftig, zu vieldimensional?
Wer wills also wissen, wer wills verstehen. Schon spielt der Schweizer Blues wieder in meinem Köpfchen, schon bin ich wieder hier, einfache Musik, bezirzende Klänge. Vergessen aber kann ich’s nicht mehr, dies Konzert der vielen Einzelnen - auch, wenn’s schier unerträglich ist.
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1 Kommentar:
Auch wenn mans nicht verstehen kann, so kann mans doch akzeptieren; auch wenn mans nicht fassen kann, so kann mans doch berühren; auch wenn mans nicht analysieren kann, so kann mans doch anschauen; auch wenn mans nicht erobern kann, so kann mans doch entdecken; auch wenn mans nicht einordnen kann, so breitet es sich dennoch vor dir aus; auch wenns kein Ganzes wird, so ist es dennoch mehr als die die chaotische Summe seiner Einzelteile: Sei es Afrika oder die ganze Welt.
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