29. März 2008

X. Gelesen. NZZ von heute:

Olympische Heuchelei gegenüber China

Die Idee eines Olympia-Boykotts geistert herum. Politiker und besorgte Sportfunktionäre markieren Betroffenheit ob der Spannungen in Tibet. Sie bangen um die Unbeschwertheit der Spiele in Peking und versuchen, ihre unguten Gefühle zu beruhigen, indem sie das Internationale Olympische Komitee zu Interventionen politischer Art bei den chinesischen Machthabern drängen und die Möglichkeit eines Boykotts des Sportanlasses nicht ausschliessen. Wie wenig ernst solche Aufwallung allerdings zu nehmen ist, lässt sich allein schon daran ablesen, dass bis jetzt kaum jemand daran zweifelt, dass trotz allem die Olympischen Spiele im August in China wie geplant über die Bühne gehen werden.
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Arrangement mit Peking

Mit der Vergabe der Spiele an Peking hat man die entsprechenden politischen Risiken in Kauf genommen. Dass diese nun manifest werden, ist nicht weiter erstaunlich. Die Politik eines Landes lässt sich von Olympia weder aufs Eis legen noch ausklammern. Im Gegenteil, sie begleitet das Stelldichein der Sportler aufs Engste. Das salbungsvolle Gerede vom gefährdeten olympischen Gedanken und Frieden kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zuteilung dieses begehrten Anlasses weniger nach sportlichen als nach kommerziellen und politischen Kriterien geschieht. Dies war bei China der Fall und ebenso beim russischen Kurort Sotschi, wo die Winterspiele 2014 stattfinden werden.

Wenn man Olympische Spiele totalitären Regimen zuspricht, hat man sich mit deren politischen Rahmenbedingungen bereits arrangiert. Im Falle Chinas entspricht dies durchaus dem gängigen Verhalten gegenüber der aufstrebenden Wirtschaftsmacht. Seit langem herrscht im politischen Umgang mit dem Reich der Mitte Heuchelei und Selbstverleugnung vor. Darüber ist sich Peking sehr wohl im Klaren. Unvergesslich ist, wie einem im Jahre 1989 in der Woche des Tiananmen-Massakers von offizieller chinesischer Seite in aller Ruhe dargelegt wurde, dass nicht daran zu zweifeln sei, dass die Demokratien nach dem Aufschrei der Empörung sehr bald wieder – ihren ökonomischen Interessen folgend – zu Kreuze kriechen würden. Ebenso unvergesslich ist, wie man in derselben Woche vonseiten der helvetischen Diplomatie darauf hingewiesen wurde, dass es sich jetzt, da das chinesische Regime in politischen Schwierigkeiten stecke, besonders lohne, zu ihm zu halten und die Kontakte zu pflegen.

Namentlich das westliche Ausland hat im Umgang mit China längst seine politische Glaubwürdigkeit verloren. Entsprechend hohl wirken die jüngsten Boykottdrohungen und die wohl kurzfristige Empörung. Wer sich gegenüber dem Pekinger Regime politisch und weltanschaulich permanent verleugnet, kann nicht erwarten, dass er ernst genommen wird, wenn er sich im Interesse ungestörter Sport-Freude plötzlich zu einem moralischen Aufschrei hinreissen lässt. Am allerwenigsten wird das die chinesischen Machthaber selbst beeindrucken.

Gewalttätige Tibeter

Überdies hat das plötzlich erwachte jüngste Tibet-Engagement von Politikern und Medien auch in der Sache selbst seine fragwürdigen Seiten. Die Repression der Chinesen auf dem Dach der Welt ist keine neue Entwicklung. Die Weltöffentlichkeit scheint aber erst dann hinzublicken, wenn der olympische Frieden gestört wird. Geht es wirklich um Tibet und dessen Kultur oder vielleicht doch nur um das Pekinger Sportereignis?

Auch die öffentliche Wahrnehmung der Ereignisse in Lhasa und an andern Orten der Region ist verzerrt. Ein Blutbad der Chinesen wurde geradezu vorweggenommen. Dabei deuten alle Berichte von einigermassen neutralen Augenzeugen darauf hin, dass sich Polizei und Militär in der tibetischen Hauptstadt dieses Mal zurückgehalten haben und ihre chinesischen Landsleute teilweise ungeschützt der brutalen Gewalt der entfesselten Tibeter überliessen. Die konkreten Ereignisse lassen es jedenfalls nicht zweifelsfrei zu, allein den Chinesen alle Schuld zu geben – auch wenn diese zuerst gegen die protestierenden Mönche vorgegangen sind. In exiltibetischen Kreisen gibt es nämlich vor allem in der jüngeren Generation etliche und gut organisierte Heisssporne, die ganz im Gegensatz zum Dalai Lama und dessen Exilregierung ein gewaltsames Vorgehen favorisieren.

Chinesischer Totalitarismus

Trotzdem ist in Pekings Antwort auf den jüngsten Ausbruch aufgestauter Wut und Frustration in Tibet deutlich die Handschrift der totalitären Herrscher zu erkennen. Der Dalai Lama wird in Umkehrung seiner immer wieder dokumentierten Haltung der Gewaltlosigkeit zum Drahtzieher der Gewalt gestempelt. Die bedingungslose Ausrottung des tibetischen Widerstands wird postuliert. Die spannungsgeladene Region wurde hermetisch abgeriegelt, um möglichst unbeobachtet mit Verhaftungen und andern Massnahmen für Ruhe und Ordnung sorgen zu können. Die seit zwanzig Jahren ausgestreckte Hand des Dalai Lama hat das chinesische Regime auch dieses Mal nicht ergriffen. Nichts hat sich geändert seit 1988, als das geistliche Oberhaupt der Tibeter in Europa zum ersten Mal seinen Mittelweg vorstellte, implizit die Souveränität Chinas über Tibet anerkannte und für eine Autonomie seiner Heimat im chinesischen Rahmen plädierte. Schon damals war der Vorschlag von Peking als Finte eines Spalters postwendend zurückgewiesen worden. Dabei läge es durchaus im chinesischen Interesse, sich den mässigenden Einfluss des Dalai Lama in der Tibetfrage zunutze zu machen, solange das noch möglich ist.

Abkehr von der Leisetreterei

Kaum etwas an den Ereignissen der letzten Wochen in China ist also neu oder unerwartet. Vielmehr bestätigen die Vorkommnisse die politische Härte des diktatorischen Regimes, das sich allein durch den enormen wirtschaftlichen Erfolg legitimiert. Die Machthaber würden auch in anderen Fällen politischer Unbotmässigkeit – Tibet ist ja nur ein Problem unter vielen – gleich verfahren. Man denke nur etwa an die herablassend-aggressive Art und Weise, wie Peking mit Asiens fortschrittlichster Demokratie auf Taiwan umspringt und diese unter das Ein-China-Prinzip zu zwingen versucht. Darüber scheint sich in der Weltöffentlichkeit kaum mehr jemand zu empören.

Gedankenspielereien mit einem Olympia-Boykott bleiben unglaubwürdig, solange dahinter nicht eine grundsätzliche Abkehr vom leisetreterischen und einseitig von wirtschaftlichen Interessen bestimmten politischen Kurs gegenüber China steht. Ein empörter Aufschrei für die Galerie als Zwischenspiel vor dem programmierten nächsten Kotau ist ebenso nutzlos wie unwürdig. Gerade die Tatsache, dass China in zunehmendem Mass ein wichtiger wirtschaftlicher und politischer Mitspieler auf der Weltbühne ist, verlangte vom demokratischen Ausland in der politischen Begegnung mit dem Reich der Mitte nicht Unterwürfigkeit, sondern mehr Selbstbewusstsein. Anstatt über Boykottaktionen nachzudenken, wäre es sinnvoller, sich endlich vorzunehmen, im politischen Alltagsgeschäft konsequent seine eigenen Überzeugungen gegenüber China zu vertreten. Von Beat U. Wieser.

27. März 2008

IX. Rebhüsli-Schrebergärten vor Frühlingsbeginn, 27. März 2008.

21. März 2008

VIII. Musik für die einsame Insel.

Modest Mouse - Good News for People Who Love Bad News
Wilco - Yankee Hotel Foxtrot
Beck - Mutations
Radiohead - In Rainbows
Sufjan Stevens - Illinoise
Calexico - Feast of Wire
Bob Dylan - Blonde on Blonde
Bright Eyes - I'm Wide Awake It's Morning
Damien Rice - 9
Madrugada - Industrial Silence
The Strokes - Room on Fire
Tocotronic - K.O.O.K.

19. März 2008

VII. Die unmittelbarste Konfrontation mit der realen Welt findet oft da statt, wo man vergesse hat, hinzusehen. Immer wieder werde ich mir dessen bewusst und erfahre, welch Unterschied und Andersartigkeit da, direkt neben mir hergeht, manchmal andres, sehr oft aber auch gleiches tut, mir im Äussern so ähnlich ist, im Innern jedoch fern und sonderbar fremd, ja unverständlich bleibt. Der kleine Kosmos, den ich mir bilde und ausgestalte, dessen Pfaden und Windungen ich folge, wird allzu oft und versehentlich zum Abbild des Ganzen, zu einer verfärbten Eigenwelt, die es so ja nirgends gibt und geben wird. So bin ich, sind wir alle wohl, immer auch Flüchtlinge und Phantasten, kleine Erfinder, um unseren Seelenfrieden zu finden, um Herr der Lage zu werden - die es nicht gibt.

17. März 2008

VI. Hofwiesenstrasse 47, Zürich.

14. März 2008

V. Donnerstags von 16 - 18 Uhr besuch ich meine Lieblingsvorlesung: "Ein soziologischer Blick auf Fussball in Afrika". Dr. Daniel Künzler, ein junger Assistent am soziologischen Institut, mag Fussball, Afrika und ist FCZ-Fan. Das kann ich gut verstehen. Während den Vorlesungen trägt er immer ein Fussballshirt, gestern jenes des nigerianischen FCZ-Goalies Ike Shorunmu, die Woche zuvor das entsprechende Nationalmannschaftstrikot Nigerias. Während der Pause hat er uns ein Lied abgespielt, dass eine südafrikanische Band anlässlich des CAN 1996 (Coupe d'Afrique des Nations) in Südafrika produziert hat (im Übrigen ein ganz übler Final-Countdown-Verschnitt, doch höre selbst...). Der Vorlesung wohnen durchschnittlich 10 Personen bei, gestern warens 8 - und nur die Hälfte waren Männer.
Wir haben gelernt, dass die Chinesen den Fussball erfunden haben, dass Fussball in Afrika eine wichtige Rolle im Unabhängigkeitskampf spielte und er noch heute oft instrumentalisiert wird, um Länder zu einen oder aber die politischen Fehlleistungen einer nationalen Elite durch sportlichen Erfolg zu beschönigen. Interessant auch der "Röstigraben" zwischen Maghreb- und Subsahara-Afrika, der sich im Fussball besonders anschaulich manifestiert.
Als Leistungsnachweis ist die medialen Berichterstattung während des CAN 2008 eines Teilnehmerlandes zu untersuchen. Ich hab mich für Kamerun entschieden. Herr Künzler hat gemeint, Kamerun sei eine der meistunterschätzten Autokratien der Welt. Während eines Spiels Kameruns wurde in Douala eine ganze Siedlung plattgemacht - strategisch geschickt, der Widerstand der Bevölkerung war gering, weil schlicht alle in der Stadt vor einem Fernseher sassen.
"Fussballspiele können aus der alltäglichen Routine herausreisen und eine Wirkung entfalten, die über die dem Spiel innewohnende Bedeutung geht", meint Herr Künzler. Er relativiert aber die gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports, indem er bemerkt: "Sport kann keine grossen gesellschaftlichen Probleme lösen", und "Sport ist nicht unbedingt ein Vorbild für eine gerechtere Gesellschaft".

Bild: Abendliches Fussballspiel in Burkina Faso.

5. März 2008

IV. Abbenddämmerung über Affoltern.

4. März 2008

III. 4 Haikus für Taube, 1 Haiku für Engländer.

Wasserfarbe floss daher
Singend sprang ein Pinsel
In den Krieg.

Ein Blättchen fror
Es war grün
Oh weh!

Liebe ist ein Moor
Geräuschlos rauch ich
Eine Zigarette.

Plötzlich sah ich, jammerweh
Ein Kind, da drüben
Ohne Kopf.

A leaf is falling down
Endlessly through my ideas
Of inversion.

3. März 2008

II. Als ich vor zweieinhalb Jahren einen Monat in Russland war, galt meine Aufmerksamkeit nicht primär der Politik. Nicht nur, weil ich noch gar nicht ahnte, jemals Politik zu studieren - dieser Gedanke kam erst in China auf -, vielmehr war ich mit allzu viel Übrigem und vorwiegend mit mir selbst beschäftigt. Zwar habe ich in Ulan Ude immerhin die grösste Lenin-Büste der Welt besucht (Bild), ansonsten bin ich an den vielen Gedenktafeln, Statuen und Abbildungen von Stalin, Lenin und schliesslich Putin eher gedankenverloren vorbeispaziert. Russland ist ein Land - ein Kontinent - den ich wiederbesuchen möchte. Nicht, dass mir dieser eine, ziemlich einsame Monat, in dem ich etwas ängstlich noch und ohne jegliche Russischkenntnisse alleine durch Taiga und Tundra gereist bin, als besonders ermunternde Zeit in Erinnerung geblieben wäre; allerdings, und das kann ich erst heute und gerade im Vergleich mit anderen Ländern und Gebieten, die ich erleben und erreisen durfte, feststellen, hat Russland eine mir gutbekannte Seele, ein poetischer Geist, den mich fasziniert und einnimmt. Tolstoi und Dostojewskij stehen so denn nur an der Spitze eines seltsamen Volkes, das, geprägt durch kalte Winter, die Abgeschiedenheit, eine kontroverse und machtvolle Geschichte und die unendliche Grösse ihres Landes, eine eigene, immer etwas wehmütig anmutende und doch sehr erhabene Kultur und Gesellschaft hervorbringt. Der Russe ist mir ein Verwandter, einer, den ich zu verstehen glaube, einer, der in seinem eigenwilligen Blick die Melancholie der Welt mit sich trägt, nicht jedoch an ihr zerbricht, sondern formen, verarbeiten kann, in lebendige, wenn auch etwas schwere Poesie umzuwandeln weiss. Ich erinnere mich an Petersburg und Moskau, die der Grösse und Weite des Landes Kontrast und Gegenstück sind und doch dies kleine russische Universum auf wenigen Quadratkilometern zu konzentrieren versuchen. Es sind lebendige und doch recht schwermütige Orte, Städte, in denen sich jeder ein wenig als Poet und Dichter fühlt, Städte, in denen Geschichte überall, in jeder Seitengasse, irgendwie spür- und fühlbar ist.
Doch zurück zur Politik. Politik scheint in diesem Land mehr als irgendwo sonst ein Schauspiel der Macht zu sein, ein Wettkampf mit einer historischen Konkurrentin, der Sowjetunion, an deren Stärke, Macht und Einfluss letztlich Mass genommen wird. Die UdSSR ist, so schien es mir, kein historisches Relikt, sondern vielmehr noch immer eine reale politische Maxime, ein machtvolles Ideal, das es anzustreben gilt, dessen kräftige, globale Ausstrahlung wiedererlangt werden soll. Der Weg ist Mittel zum Zweck. Medwedew, Putin, Jelzin - einerlei. Es scheint fast, als würde Politik in Russland viel weiter vom Realen entfernt sein, als dies sonstwo der Fall ist, als wäre Politik ein nächtlicher Mond, der weit weg vom Geschehen der russischen Seele Weg und Gefahr leuchten soll, ohne sie jedoch zu berühren, ohne sie zu stören. Ja, und so bleiben Kultur, Gesellschaft und Politik einander getrennt und fremd, bilden ab und an ein ungleiches Paar zwar, verstehen sich schlecht und ziehen es schliesslich vor, alleine weiterzuziehen.
Ob ich das gutfinde? Nein. Ob ich es verstehe - die Ewigkeiten der Tundra vor Augen? Ja.

Die russische Wirklichkeit ist ein erhabenes, universelles, geordnetes Chaos. Fjodor Michailowitsch Dostojewskij

2. März 2008

Gedanken im März I. Feste sind, so glaube ich, einer der wenigen Schlupfwinkel der gesellschaftlichen Authentizität. Hier ist der Mensch, was er sein will, zu sein hat, unverfälscht vom intelektuell konstruierten Idealtypus, vom gesitteten Mitträger einer Normen- und Sittenlandschaft, die uns auszeichnet und zugleich beraubt.
Berauscht haben diese Maurer, Banker, Lehrlinge und Studenten getanzt gestern, bis spät in die Nacht, als ob sie nicht an den Morgen glauben würden, als wärs ihr letztes Narrenstück vor dem Untergang. Ich bewundere sie. Ich stand an, nein, hinter der Bar, verkaufte, verschenkte und trank Bier, ass Erdnüsse und war ganz berauscht ab der ganzen Szenerie dieses grossen Fasnacht-Traritraras.
Und, besser als jedwelches Unterhaltungsstück, nimmt das ewigliche Werben um Herz und Körper, das subtil an allen Enden und Ecken des Alltags auszumachen ist, hier eine offensive, gradlinige, fast hemmungslose Form an. Die ganze Komplexität der menschlichen Psyche scheint sich sodann in diesem einen grossen Schauspiel von Sein oder Nichtsein zu manifestieren, versetzt den Raum in ein atmosphärisches Knistern und macht dies Feiern und Berauschtsein zur ursprünglichsten Form des weltlichen Jetzt. Ist dies also der Mensch, der Schweizer, Zürcher, der von alltäglicher Verpflichtung kurzeste Zeit befreite Urgeist? Ist der Rausch und diese breite Enthemmung nur die Katharsis, der Freiflug eines in gesellschaftlichen Ketten liegenden Vogels, eine Karrikatur unserer dekadenten Zeit? Hm, wer weiss es schon, wer soll es wissen... Dazu abschliessend ein gescheites Wort vom Herrn Darwin: Wir sind wie Tiere, die im Zoo gross geworden sind und die Beklemmung unserer Gefangenschaft spüren, aber über dieses schlummernde Gefühl nicht hinaus kommen, weil wir wirkliche Freiheit nie erlebt haben.