Gedanken im März I. Feste sind, so glaube ich, einer der wenigen Schlupfwinkel der gesellschaftlichen Authentizität. Hier ist der Mensch, was er sein will, zu sein hat, unverfälscht vom intelektuell konstruierten Idealtypus, vom gesitteten Mitträger einer Normen- und Sittenlandschaft, die uns auszeichnet und zugleich beraubt.
Berauscht haben diese Maurer, Banker, Lehrlinge und Studenten getanzt gestern, bis spät in die Nacht, als ob sie nicht an den Morgen glauben würden, als wärs ihr letztes Narrenstück vor dem Untergang. Ich bewundere sie. Ich stand an, nein, hinter der Bar, verkaufte, verschenkte und trank Bier, ass Erdnüsse und war ganz berauscht ab der ganzen Szenerie dieses grossen Fasnacht-Traritraras.
Und, besser als jedwelches Unterhaltungsstück, nimmt das ewigliche Werben um Herz und Körper, das subtil an allen Enden und Ecken des Alltags auszumachen ist, hier eine offensive, gradlinige, fast hemmungslose Form an. Die ganze Komplexität der menschlichen Psyche scheint sich sodann in diesem einen grossen Schauspiel von Sein oder Nichtsein zu manifestieren, versetzt den Raum in ein atmosphärisches Knistern und macht dies Feiern und Berauschtsein zur ursprünglichsten Form des weltlichen Jetzt. Ist dies also der Mensch, der Schweizer, Zürcher, der von alltäglicher Verpflichtung kurzeste Zeit befreite Urgeist? Ist der Rausch und diese breite Enthemmung nur die Katharsis, der Freiflug eines in gesellschaftlichen Ketten liegenden Vogels, eine Karrikatur unserer dekadenten Zeit? Hm, wer weiss es schon, wer soll es wissen... Dazu abschliessend ein gescheites Wort vom Herrn Darwin: Wir sind wie Tiere, die im Zoo gross geworden sind und die Beklemmung unserer Gefangenschaft spüren, aber über dieses schlummernde Gefühl nicht hinaus kommen, weil wir wirkliche Freiheit nie erlebt haben.
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1 Kommentar:
Die Thematik der inneren Freiheit, das Losreissen aus Zwängen, der Mut, sich selbst zu erkennen in der Unabhängigkeit, findet sich verfilmt in grossartiger Weise in: "Into the wild" von Sean Penn. Solltest du dir anschauen.Spiegelbilder eigener Gefangenschaft, das Gefühl von verhinderter Entwicklung, haben mich tief bewegt und halfen neue Gedanken und Visionen zu gebären.
Danke dir Fabian, für all deine Texte. Tieffühlend, authentisch und bewegend!Du bist so ein wertvoller Mensch! dini Ma
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